02.07.15: Eltern zufrieden mit Inklusion
Dennoch großes Vertrauen in Förderschulen

Gütersloh/Berlin (epd/kg). Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern wird von Eltern positiver bewertet als bisher angenommen. Das belegt eine bundesweite Online-Umfrage bei rund 4.300 Eltern im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Skeptisch reagiert ausgerechnet ein Elternverein.

Eltern, deren behinderte oder nicht-behinderte Kinder eine inklusive Schule besuchen, sind laut Studie zu 68 Prozent mit der Förderung ihres Nachwuchses zufrieden. Das gilt unabhängig davon, ob das eigene Kind Förderbedarf hat oder nicht. Bei Eltern mit Kindern auf einer nicht inklusiven Schule sind es hingegen 58 Prozent.

Die Bielefelder Professorin für Sonderpädagogik, Birgit Lütje-Klose, bestätigt, dass die Umfragewerte im internationalen Vergleich sehr ähnlich seien. Sie sagt: "Eltern schätzen es, wenn die Kinder in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen werden." So erkläre sich unter anderem, dass auch das Elternurteil über die Kompetenz der Lehrer bei inklusivem Unterricht mit 89 Prozent etwas positiver ausfalle als bei nicht inklusivem Unterricht (82 Prozent). Mehr als ein Drittel der befragten Eltern hatte nach eigenen Angaben Kinder in Schulen mit inklusivem Unterricht. "Zunehmende Erfahrung führt zu einer positiveren Haltung", sagt Lütje-Klose.

Die Einstellungen gegenüber dem gemeinsamen Lernen im Allgemeinen bleiben jedoch durchwachsen. Obwohl sieben von zehn Eltern Inklusion als gesellschaftlich wichtig einstufen, glauben sechs von zehn Befragten, dass Kinder mit Handicap auf Sonderschulen besser gefördert werden. "Vielen Eltern fehlt bislang noch das Vertrauen, dass der gemeinsame Unterricht die bestmögliche Förderung bietet", sagt Stiftungsmitarbeiterin Nicole Hollenbach-Biele über die Ambivalenz.

51 Prozent der Eltern sind laut Umfrage der Auffassung, dass Kinder ohne Förderbedarf auf inklusiven Schulen fachlich gebremst würden. Vorbehalte haben vor allem Eltern, die keine Erfahrungen mit einer inklusiven Schule haben (58 Prozent). Bei Eltern mit solchen Erfahrungen sind es 44 Prozent.

Die Landesvorsitzende des Elternvereins NRW, Regine Schwarzhoff, sieht die Ergebnisse dagegen kritisch, nennt sie ein Schlaglicht. "Im Gespräch mit Eltern erlebe ich vielmehr eine vorsichtige Skepsis." Sie warnt vor einer Schließung der Förderschulen, es gehe unverzichtbares Know-how der Lehrkräfte verloren. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) bekräftigte derweil einen Ausbau der inklusiven Schulen. Bis 2017 investiere die Landesregierung dafür rund eine Milliarde Euro, sorge für 3.200 zusätzliche Lehrerstellen und 2.300 neue Studienplätze.

Der Bundeselternrat mahnte eine stärkere Einbeziehung der Eltern an. "Wir müssen nicht nur die Lehrer darauf vorbereiten, was Inklusion bedeutet, sondern das müssen wir mit der ganzen Schulgemeinschaft machen", sagte Inklusionsexperte Wolfgang Pabel. Ebenso wichtig wie der inklusive Unterricht sei die Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. Im Schuljahr 2013/14 besuchten laut Bertelsmann-Stiftung mehr als 30 Prozent der knapp 500.000 Förderschüler eine Regelschule.

Quelle: LZ vom 02.07.2015

Bertelsmann-Studie zu inklusivem Schulunterricht
Dicke Bretter bohren

KRISTINE GRESSHÖNER

Es wäre Augenwischerei zu glauben, dass sich alle Eltern und alle Kinder über inklusiven Unterricht freuen. Inklusion, das heißt Zugehörigkeit. Doch so mancher Förderschüler benötigt eine spezielle Umgebung und eine besonders aufwendige Förderung, um eben richtig dazuzugehören und nicht in der Masse unterzugehen. Der Einzelfall entscheidet, der Einzelfall hat spezielle Bedürfnisse, also ist der Einzelfall maßgeblich und darf nicht gezwungen werden, von der Regelschule in eine Förderschule zu wechseln.

Ein Lehrer, der allein vor seiner Klasse steht, kann das eh nicht leisten. Daher muss die Politik deutlich mehr Stellen schaffen, und das zeitnah. Die Lehrerbildung muss sich noch stärker an der Praxis orientieren. Wer Neues wagt, muss dicke Bretter bohren. Und für mehrere Interessengruppen einen gemeinsamen Nenner finden. Der Blick über die Staatsgrenze zeigt, dass andere Länder das bereits geschafft haben. Auch bei uns muss das gelingen. kristine.gresshoener@ihr-kommentar.de

eingetragen von Detlev Schubert
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